Reiseeindrücke zu Multifunktionalen Agroforstsystemen in Großbritannien und den Niederlanden Oktober 2022

von Marius Müller

Das ist ein Bericht darüber, was wir, also eine Gruppe von 23 Studierenden und einem Hund auf der Reise zum Thema Multifunktionale Agroforstsysteme / Waldgärten im Oktober 2022 lernen durften. Da ich (Marius Müller - Exkursion Organisator) nicht wusste, was die anderen gelernt haben, habe ich den Teilnehmenden die Möglichkeit gegeben, Ihre Erfahrungen selbst zu schildern. Ohne die Mithilfe wäre die Fahrt so nicht möglich gewesen. Ich bin der ganzen Gruppe sehr dankbar. Ich werde meine Erfahrungen durch die der anderen Teilnehmenden ergänzen.
Immer mit dabei waren drei Kameras mit Equipment. Wir haben nämlich auf dieser Reise ganz viel Material für Informationsfilme zum Thema Agroforst gesammelt. Die sechs Filme könnt ihr bereits hier und in Kürze auch auf dem Youtube Kanal von JANUN sehen.

Gefördert wurde das Filmprojekt von der Stiftung WissenWecken. Die Reise wurde außerdem von der Postcodelotterie im Rahmen einer Förderung für den Essbaren Waldgarten Göttingen und von der Universität Göttingen unterstützt.

Weitere Informationen zu allen Projekten, die wir besucht haben, findet ihr im Internet. Im Folgenden nun meine Eindrücke von dieser Reise.

Waldgarten Ketelbroek - Nijmegen, Niederlande

Zuerst besuchten wir Wouter van Eck in den Niederlanden. Er hat 2010 einen Food Forest auf 2,4 ha als Schaugarten angelegt, umschlossen von konventioneller Landwirtschaft. Es sind deutliche Unterschiede zwischen seiner Fläche und den Flächen drumherum sichtbar.

Auf den Feldern drumherum erodieren der Wind und der Regen den Boden, wenn er unbedeckt ist. Ganz anders ist das im Waldgarten, welcher angepasst durch die natürliche Sukzession mit dichtem Bewuchs. Der Boden ist das ganze Jahr über geschützt. Nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für den eigenen Garten kann man sich Inspiration holen. Das naturnahe Ökosystem bietet beispielsweise auch eine natürliche Eindämmung von Nacktschnecken durch Kröten, die sonst im Hobbygarten zur Plage werden können. Auch für die Feinschmecker war etwas dabei! Wir konnten Pfeffer probieren, der in den Niederlanden, aber auch in Deutschland wachsen kann. Nur dass die Lippen danach taub waren, weil man ihn beim Kochen in kleineren Mengen verwendet, hat für viele Lacher gesorgt.

Lange Transportwege können vermieden werden, wenn der Pfeffer, wie hier z.B. im lokalen Restaurant, verarbeitet wird. Die Natur übernimmt bei der Pflege der Fläche sehr viele Aufgaben, wenn wir sie machen lassen und es “unordentlich” aussehen darf. Die Natur hat ihre eigene Ordnung, wenn wir sie genau betrachten. Wir Menschen dürfen uns erlauben ie Zeit zu nehmen, um hinter die Fassade zu schauen. Wir durften auch mit eigenen Augen sehen, dass Organismen besser wachsen, wenn sie von anderen Organismen umgeben sind, die ihnen gut tun. Am Beispiel eines Walnussbaumes haben wir gesehen, dass dieser nach 12 Jahren ca. 1,5 m größer war, als der Walnussbaum, der alleine steht.

Wir sind eingeladen, sicher Geglaubtes stets hinterfragen und kritisch prüfen zu dürfen.

Waldgarten Holland - felix Möller
Wir im Waldgarten mit Wouter van Eck

Maple Farm in Kelsale, England

Mike Mallet hat eine 110 ha große Farm, wo wir viel erkunden durften und eine Führung bekommen haben. Eine Philosophie, die ich gelernt habe ist, wenn man etwas Neues anfängt, braucht man immer die Kapazitäten, um dieses Neue zu bewältigen. Bei Mike Mallet ist mir aufgefallen, dass Bäume Zuwendung brauchen, weil sie sonst nicht so gut wachsen, wie sie es könnten. Einige Bäume sollten laut unseres mitgefahrenen Obst-Bauern schon längst viel größer gewesen sein.

Mike hat mit seinen 110 ha eine Farm, die nicht nur ökologisch in Ordnung ist, auch seine Ökonomie passt und er kann seine Rechnungen gut bezahlen. Das erreicht er durch den ökologischen Anbau von Getreide und die Weiterverarbeitung direkt auf seinem Hof. Mike ist überzeugt vom Agroforst: "Von all den Ansätzen in der Landwirtschaft, mit denen ich gearbeitet habe, gefällt mir Agroforst am besten”. Dazu muss man wissen, dass Mike ca. 60 Jahre alt ist und als alter Hase weiß, wovon er spricht. Er integriert mobile Hühnerställe mit den gepflanzten Baumstreifen so, dass die Hühner (die eigentlich Waldtiere sind) Schutz vor Raubvögeln finden können und durch das dazugewonnene Sicherheitsgefühl die Fläche besser nutzen. Bei drückender Hitze haben die Tiere wohltuende Schattenspender, welche das Tierwohl maßgeblich erhöhen.

Mallet Farm
Auf dem Hof von Mike Mallet

Wakelyns Farm in Suffolk, England

Als nächstes ging es nach Wakelyns. In Wakelyns haben Martin und Ann Wolfe Mitte der 90ziger Jahre begonnen Agroforstpflanzungen wissenschaftlich zu untersuchen. Aus dieser Zeit stammen die ältesten Baumreihen in ihrem alley cropping system. Die Streifen zwischen den Baumreihen werden unterschiedlich genutzt. Die Baumstreifen sind sehr divers angelegt. In einem Baumstreifen sind nie zwei Bäume oder Sträucher einer Art nebeneinander. Nussbäume (Hasel), Fruchtbäume (Apfel) und Bäume fürs Heizen auf dem Hof stehen alle durcheinander in einem Streifen. David sagte, dass der schlechteste Standort für einen Apfelbaum direkt neben einem anderem Apfelbaum sei. Schädlinge würden sich dann viel leichter verbreiten.

Vor Ort haben uns Martins Sohn David und Henrietta begrüßt. Dort durfte ich lernen, wenn du etwas machst, mache es mit viel, viel Liebe. Ich habe Brot mit Henrietta backen dürfen und die Erfahrung ist sehr präsent bei mir. Die Stimmung war tiefenentspannt und zur gleichen Zeit habe ich mich selten so gut und interessiert ausgetauscht, weil der Raum dafür gegeben war. Das Brot wird direkt und regional verkauft. Durch die kurzen Vermarktungsstrukturen bleibt das Geld in der Region und bleibt damit unabhängig von globalen Lebensmittelspekulationen. Das Angebot reicht von den vielfältigen Produkten aus der CSA (Community Supported Agriculture) über Schlafplätze in den Tiny Häusern zwischen den Baumstreifen, Elefanten aus geflochtener Weide, bis hin zur Forschung neuer Produkte wie Faser für die Londoner Fashion Week. Man merkte direkt - Kreativität ist in Wakelyns stark präsent und inspiriert Besuchende. Das Prinzip des Enterprise (Unternehmen) Stacking (stapeln) wird dort veranschaulicht und macht die Farm dadurch in sozialen und auch in ökonomischen neben den ökologischen Aspekten sehr zukunftsweisend, wie Landwirtschaft funktionieren kann, wenn wir als Menschen weiter denken und neugierig bleiben. Beim Enterprise Stacking handelt es sich darum, dass mehrere Unternehmen auf einer Farm aufgebaut werden, die alle von unterschiedlichen Menschen geführt werden. Dadurch wird die Komplexität auf viele Köpfe verteilt und schafft vor Ort viele Arbeitsplätze.

Wakelyns Begrüßung
Begrüßung in Wakelyns
Agroforststreifen mit CSA

John Letts

Das Wissen alter Getreidesorten darf nicht vergessen werden. Dafür setzt sich John Letts ein und untersucht viele hunderte Jahre alte Getreidefunde, insb. aus Europa. Kürzlich hätte er recht altes Getreide aus Deutschland bekommen, dass in einer alten Scheune gefunden wurde. Er hat uns beigebracht: Stability comes from diversity. Anstatt, dass wir alle die gleichen, geklonten Organismen in ein Ökosystem bringen, benötigen wir auf jedem Quadratmeter angepasste Organismen. Diese Selektion kann durch die Kreuzung von Roggen direkt auf dem Feld passieren. Mehrjährige Getreide sparen viel Energie, da sie im kommenden Jahr wieder austreiben. Bei einjährigen Pflanzen ist der Aufwand viel höher. Weil dort diverse unterschiedliche Arbeitsschritte nötig sind, um eine Ernte einzufahren. Dadurch kommt es, dass wir aktuell mit industrieller Landwirtschaft 10 kcal in die Produktion von 1 kcal Nahrung reinstecken. Das können wir, weil wir fossile Energien einsetzen. Aber diese sind endlich. Deswegen brauchen wir mehr mehrjährige Pflanzen, die den Aufwand verringern. In dem System von John Letts wird auch kein energetisch aufwendig hergestellter Mineraldünger benutzt. Es kommt Luft Stickstoff-fixierender Klee (primär Weißklee) zum Einsatz. Das ist ein großes Einsparpotenzial. Verordnungen wie die Bio-Richtlinie, sollten reformiert werden, damit die Methode besser eingesetzt und vertrieben werden kann. Landwirt*innen, die ihre Produkte als Bio zertifizieren, könnten mehr Geld für ihre Produkte erhalten. Und John setzt auf das ursprüngliche, hohe Getreide. Roggen wurde früher 2m hoch. Das hat den Vorteil, dass Unkräuter weniger Chancen haben das Getreide zu überwuchern.

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bei John Letts

Close Farm - Fred Bonestroo - Tetbury, Gloucestershire, England

Es wurde von den sage und schreibe circa 1000 Apfelsorten probiert. Eine Sorte schmeckte wie Banane, andere hatten rotes Fruchtfleisch. Da wird uns bewusst, wie wenig wir eigentlich wissen und dass so viel Wissen vorhanden ist, das wir nicht mitbekommen, wenn wir nur das lernen, was alle in der Uni schon wissen. Es gilt wie in so vielen Bereichen - ein Blick über den Tellerrand hinaus lohnt sich! Außerdem wurde sein Gewächshaus mit der Wärme des sich zersetzenden Komposts beheizt. Uns wurden zwei Bücher empfohlen: The Water Wizard und The Lean Farm. Das zweite Buch findet sich in vielen Prozessen der Farm wieder und reduziert seinen Aufwand. Das gemeinsame Arbeiten auf dem Hof und die Gastfreundschaft von Fred haben gezeigt, dass Vertrauen in die Menschen Sicherheit und Verbundenheit in der Gesellschaft erzeugt.

AF Fred Bonestro
Agroforststreifen bei Fred Bonestro mit Apfelbaumreihen

Agroforestry Research Trust - Martin Crawford - Dartington Estate in South Devon, England

In Waldgärten, also horizontal vielschichtigen (Wurzelschicht, Krautschicht, Strauchschicht, Baumschicht, Kletterpflanzen) Agroforstsystemen ohne maschinelle Bearbeitung, habe ich erfahren dürfen, wie wenig Arbeit neben dem Ernten für den Menschen bleibt, wenn er ein Ökosystem so gestaltet, dass es an die Bedürfnisse des Menschen angepasst und mit Raum für das einzelne Wesen vorhanden ist, das wachsen soll. Durch das Erleben des Waldgartens ist das Designen eines Waldgartens nun viel greifbarer geworden. Das Ökosystem hat wenig ungewollte Begleiterscheinungen und kann viele unterschiedliche Formen annehmen, wodurch es anpassungsfähig ist. Es ist bewusst geworden, dass trotz des engen Bewuchses mit entsprechendem Zurückschneiden die Produktivität noch gegeben ist. Im Frühjahr kann man hier frische Bambussprossen probieren.

Bei Martin Crawford im Waldgarten - Felix Möller
Im Waldgarten mit Martin Crawford

Gruppe

Ich bin der Gruppe sehr dankbar, was ich durch sie in mir sehen darf. Erst durch den Spiegel der andern bin ich auf Seiten an mir aufmerksam geworden, die ich vorher nicht wahrgenommen habe. Das hat mein Herz berührt und mich nachhaltig verändert. Bei der Gruppenbildung war sehr interessant zu sehen, dass meist nur grobe Struktur sichtbar war und die Menschen sich ihre Aufgaben irgendwann selbstorganisiert gesucht haben. Alle Menschen wurden dabei eingebunden. Das kann passieren, wenn wir als junge Menschen und Studierende mehr Freiheiten in unserer Organisation bekommen. Durch die Gruppenstruktur haben alle nicht nur nach sich selbst, sondern auch nach den anderen geschaut und geholfen, wenn man einen schlechten Tag hatte. Die Gruppe hat funktioniert wie ein Sicherheitsnetz. Fremde sind auf der gemeinsamen Fahrt zu Freunden geworden.

Humor war sehr wichtig bei der Fahrt und es gab viel zu lachen. Die gemeinsamen Lagerfeuer haben die Gemeinschaft gestärkt.

Über mich selbst

Ich kann den Rahmen einer Gruppe mit anderen aufbauen und halten. Es hat mir gezeigt, dass Dinge möglich sind, woran zuerst alle (eingeschlossen mir) gezweifelt haben. Wenn du Vertrauen schenkst, bekommst du so viel mehr zurück, ohne es zu erwarten. Es war wichtig, in und mit der Gruppe anzukommen. Es sind auch Fragen in uns entstanden. Bspw. wie schule ich mein Verhalten in langwierigen Gruppenprozessen und wie stimme ich meine individuellen Bedürfnisse auf die an der Gruppe Teilnehmenden ab? Wann bin ich gefragt zu handeln und wann wer anderes?

Lagerfeuer bei John Letts
Lagerfeuer in Wakelyns
GB Fahrt Gruppenfoto2
Abschlussfoto in Dover